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B E G E G N U N G E N
Autobiographische Texte von Werner Helwig über seine Begegnungen
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Knut Hamsun
Das war 1923. Ich floh Inflation und Grippe, die zuhause wüteten und trieb mich als Landstreicher an den nördlichen Rändern Europas herum, nachdem ich teils zu Fuß, teils per Anhalter – das war damals noch eine ergiebige Sache, (man wurde immer zum Essen eingeladen) – durch Dänemark und das unendlich langgestreckte Schweden nach Lappland gelangt war. Von dort aus gelangte ich nach Narvik, reiste mit einem Trawler nach Bergen, in den Süden Norwegens hinab.
Nun hatte ich die Gepflogenheit angenommen, Schriftsteller, besonders solche, die mir wichtig waren, aufzusuchen. So kam es dazu, dass ich Knut Hamsun über Grimstadt auf seinem frisch erworbenen Hof Nörholm besuchte. Aufs Geratewohl. Aber ich hatte Glück. An einem nieselnebligen Nachmittag trabte ich mit meinem kleinen Rucksack, in welchem sich mit anderen Büchern die deutsche Ausgabe des Romans „Pan“ befand (nicht größer als ein Inselbuch, in der Erstausgabe des Albert Langen Verlags) auf das neunfensterbreite herrschaftliche Anwesen mit seinem weißen Säulenaufgang zu. In der Kaffeestube von Grimstad, wo ich mit meinem letzten Geld speiste, hatte man mir den Weg beschrieben und mich zugleich gewarnt: der zu dieser Zeit etwa 60jährige, frischgebackenen Nobelpreisträger würde niemand empfangen. Doch war ich sicher, dass mir meine Begeisterung für „Pan“ schon durchhelfen würde. Dass er Deutsch könne, oder doch ziemlich gut, hatte man mir versichert. Etwas zur Seite gedrückt, folgte ich der stolzen Auffahrt, ging aber nicht die Treppe zur Haustür empor, sondern folgte den Hammerschlägen, die ich linksseitlich hinter buschigen Bäumen vernahm. Gut beraten von meinem Instinkt, wie sich später herausstellen sollte. Denn dort war ein Mann, mittelgroß, hager, mit einer Gärtnerschürze umgetan und einem zerkniffenen Hut auf dem Kopf, anscheinend mit der Reparatur eines zerfallenen Stakets beschäftigt. Neue Zaunlatten lagen neben alten verrotteten im nassen Gras. Spaten, Kneifzange, Säge, - ein Arbeitsanblick, wie er typischer nicht sein kann. Der Mann wandte sich zu mir um, da ich ihn, aus lauter Verlegenheit, englisch begrüßte. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Ein kleines schwarzgerandetes Pincenez hing ihm schräge über beiden Augen und ließ seinen Blick stechend, strenge, strafend erscheinen.
„Engländer sind Sie nicht“, antwortete er, meinen Anzug musternd. „Nein, ein deutscher Handwerksbursche auf der Walz“, heuchelte ich.
„Und da wollen Sie hier vielleicht mit zupacken“, prüfte er mich, ohne den Hammer aus der Hand zu lassen, den er wie eine Waffe trug. „Warum nicht“, sagte ich, ließ den Rucksack fallen und sah mich um nach Dingen, die zu tun wären. – „Wissen Sie was“, sagte er und deutete auf ein Bündel rostiger Nägel, die er aus den alten Latten herausgezogen hatte, „Sie könnten diese Nägel geradehämmern. Wollen Sie?“ [...] „Perfider Geiz“, dachte es in mir, und ich betrachtete zwischendurch den Mann genauer, der nun also „Pan“ geschrieben hatte. Mit seinem stramm aufwärts gebürsteten Schnurrbart sah er nicht gerade wie der Held des Buches, Leutnant Glahn, aus. Oder doch?
Er trug Gummistiefel, die ich bis dahin nur an Fischern gesehen hatte. Alles an ihm wirkte abgetragen. Ich fiel in meinem Anzug gar nicht auf.
„Jaso“, sagte er, ohne Lächeln, „Sie sind also Vagabund; ein deutscher Vagabund“, dem folgten ein paar Hammerschläge. Dann, nachdem ich bejaht hatte: „Und Sie treiben sich hier so herum, während Ihr Vaterland verendet.“ – „Mit mir wäre nur ein Esser mehr“, verteidigte ich mich. „Und wann haben Sie zuletzt gegessen?“ fragte er. „Heute morgen in Grimstad“, antwortete ich wahrheitsgemäß-. „Warten Sie, ich will Ihnen was holen.“ Damit ging er zum Haus, dessen Flanke weiß und schweigend im Dämmern stand. Und ich schämte mich sehr, als er mit einem Tablett voll belegter Brote und zwei Tassen Tee zurückkam, die er auf einem Holzklotz abstellte. Mich hineinzuladen, das kam ihm also nicht in den Sinn. Vielleicht wäre ihm das als Zumutung für seine Frau erschienen. Ich aber wagte nicht, meine Tarnung zu durchbrechen und mich ihm als Verehrer seiner Kunst und werdender Schriftsteller vorzustellen. Ich bin sicher, er hätte augenblicklich nach einer Zaunlatte gegriffen. Nachdem wir also zusammen gevespert hatten, ich ihm einige schwärmerische Andeutungen über die lappländische Landschaft gemacht hatte, die von ihm wiederum spürbar misstrauisch aufgenommen wurden – „Ich weiß, was das ist, Vagabund sein...“ – räumte er Handwerkszeug und das leergespeiste Tablett zusammen, um alles in einen winzigen Schuppen zu tragen, denn aus dem Nieselnebel hatte sich mit dem sinkenden Abend ein kleiner Dauerregen entwickelt.
Er reichte mir die Hand, eine knochige, trockene, mit bebendem Druck. Ich sah mich verabschiedet, schwang mir den Rucksack auf den Buckel und wollte gerade gehen, als ich seinen Ruf hörte: „Einen Moment“, sagte er mit sonderbar brüchiger Stimme, - „hier ist noch etwas, damit Sie sich ein Nachtlager bezahlen können.“ Er brachte einen Zwanzigkronenschein – ein großes Stück Geld damals – zum Vorschein und ich nahm ihn, was blieb mir übrig, an, über und über errötend. Er merkte das wohl, seine Züge verwandelten sich ganz ins Väterliche. „Farewell“, rief er mir nach. Ich winkte, er winkte, - ein großes Bedauern blieb, wie mir schien auf beiden Seiten, zurück.
Es ließ mir keine Ruhe, dass ich ihn so zum Besten gehabt hatte mit dem „reisenden Handwerksburschen“, und ich schrieb ihm später – als ich mit meinen Landstreicherballaden aus Norwegen in der Zeitschrift „Der Querschnitt“ erste Erfolge vorweisen konnte- , um ihn über den wahren Sachverhalt meines Besuches aufzuklären.
Er erinnerte sich merkwürdigerweise der winzigen Begebenheit und antwortete, wenn auch barsch und offensichtlich nicht auf Fortsetzung erpicht, er hätte sich so was schon gedacht, ja, er habe gemeint, dass ich ein Ausreißer sei, und er hätte nicht gerne Geschichten mit der Polizei. Eine Aufforderung, den Besuch bei besserer Gelegenheit zu wiederholen, erfolgte nicht. Immerhin beantwortete er meine Frage nach dem Sinn des Titels „Pan“. Er habe, erklärte er, keine besondere Beziehung zur griechischen Mythologie. Aber bei seinen Aufenthalten in München sei er auf Gemälde von Arnold Böcklin gestoßen, deren eines, „Pan im Schilf“ ihm wegen des darin erreichten völligen Zusammenspiels von Gestalt und Natur maßgeblich geblieben sei. Zum Beweis dessen war dem Brief ein herausgerissenes Blatt (wieder der Geiz; anstatt das ganze Heft zu schicken) beigefügt, mit einem Gedicht in norwegischem Text, „Bøcklins Død“ [...]
Wir ließen nie wieder voneinander hören, aber für mich blieb die Begegnung mit dem spröden Mann verbindlich. Ich begriff, dass er ein ihn gefährdendes Übermaß an Zartgefühl Feinnervigkeit, und tierhaftem Witterungsvermögen hinter einer Vielzahl von Masken . jede Maske einer seiner „Helden“ – verbarg.
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Thomas Mann
Der nächste war Thomas Mann in München, dessen schmerzlichzarten Jünglingsschilderungen („Tonio Kröger“) es mir angetan hatten. Hier war ich, trotzdem das öffnende Dienstmädchen meine Aufmachung in Rippelsamt, rotem Halstuch und mit ledernem Reisesack misstrauisch musterte, ein sofort vorgelassener Gast, der unverzüglich an den gerade gedeckten Teetisch geladen und von dem seine Nachmittagspost durchsehenden Hausherrn eines – von seiner Seite her belustigten – Gesprächs gewürdigt wurde.
Frau Mann schenkte mir mütterlich ein und belud meinen Teller mit dem reichlich vorhandenen Gebäck. Die Rede kam auch auf den Sohn Klaus, den ich in Hamburg gelegentlich seines Stückes „Anja und Esther“, in dem er die Hauptrolle neben seiner Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gründgens spielte, erlebt hatte. „Er ist ein wenig morbid, nicht wahr?“ wandte Thomas Mann sich mit fragender Miene an mich. Und ich gab Auskunft nach Wunsch und Überzeugung.
Werner Helwig über seine Begegnung mit Thomas Mann 1925
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Hermann Hesse
Nicht schlechter erging es mir bei Hermann Hesse in Montagnola, wo ich einen ganzen Tag und noch den nächsten halben dazu verweilen durfte. Ich wurde an der Gartenarbeit und allen Mahlzeiten beteiligt, notierte Begeistertes über den Schöpfer des „Demian“ und bemühte mich, sehr knulpisch aufzutreten. Eine in großen Pausen über die Jahrzehnte hin sich erstreckte Freundschaftlichkeit entspann sich daraus. Briefe blieben nie unbeantwortet. Eine letzte Karte erhielt ich 1950 von ihm. Inhalt: „Ich sehe Shiva tanzend die Welt zerstören“.
Werner Helwig über seine Begegnung mit Hermann Hesse 1925
Es war in der Zeit nach der Niederwerfung Polens durch die Naziheere. [...] Sorgenvoll drückende Wochen, die ich in Zürich verbrachte und die ich durch einen Besuch in Montagnola unterbrach, wo ich den dort lebenden Gunter Böhmer aufsuchte, durch dessen Vermittlung ich wiederum an Hermann Hesse geriet, der von mir durch die „Raubfischer in Hellas“ wusste, ein Buch, das er billigte und durch das ich als Griechenlandmensch ausgewiesen war.
Grund wiederum, mich zu einem Tee mit Freunden zu laden, ich glaube, es war ein bekannter Mythenforscher und dessen Frau. Nachdem sich das Gespräch durch Mutmaßungen über die Weiterentwicklung der misslichen Lage erschöpft hatte, gelang doch der die Tafelrunde sofort spürbar belebende Übergang zum Thema Hellas. Frau Ninon Hesse erzählte kenntnisreich von ihren Reisen. Ihre Schilderungen waren begeistert und kenntnisreich. Die Erörterung lotete dann auch mit allgemeiner Beteiligung in die Tiefe: inwiefern altes Hellas im heutigen griechischen Leben noch durchscheine. Vermutungen darüber, Theorien, Festlegungen, - es ging immer munterer zu. Man fühlte sich geborgen in den geweckten Anschauungen. Bis ein gewisses Stichwort fiel, das mir die insgeheim schon lange erwartetet Gelegenheit gab, nein, sie mir gleichsam aufzwang, um eigene Erfahrungen vorzutragen.
Das Stichwort fiel auf Seiten Ninon Hesses. Es hieß Pan, genauer, die überraschende Erscheinung Pans in Gestalt eines Ziegenbocks [...]
„Der Tierarzt“, sagte ich, den Schrecken auskostend, den ich verbreiten würde, „der Tierarzt allerdings würde feststellen, dass dieser Pan, sofern er in dem Bock steckte, sehr krank sei“.
Beunruhigtes Erstaunen. – „Ja“, sagte ich, „weil nämlich alle Ziegenherden Griechenlands syphilitisch verseucht sind.“ Ablehnendes Entsetzen. –
„Eine unerfreuliche Tatsache“, sagte ich, mich zurücklehnend, „die Ziegen haben es von den Hirten, und so wird es dann den Böcken appliziert. Jeder neugriechische Veterinär wird es Ihnen bestätigen. Außerdem sind die Ziegenherden der Untergang des letzten Laubwaldbestandes. Indem sie als Baumkletterer (wie oft und mit wie heiteren Unterschriften wird das fotographiert) auch die zartesten Schößlinge abnagen, tragen sie viel, sehr viel zu fortschreitenden Verkarstungen der Landschaft bei. Einsichtige Ökonomen verlangen schon lange ein Gesetz, durch das das Halten von Ziegenherden eingeschränkt und die hirtische Überwachung strenge gefordert wird. Aber, was wollen Sie, wie soll das in unserem geliebten Hellas – Sie kennen es ja – jemals durchgesetzt werden. Die Bauern, in ihrer schönen Nonchalance, haben sich gewöhnt, nie weiter, als bis zum nächsten Tag zu rechnen. Bis jetzt ist es gegangen – sagen sie, wenn man sie daraufhin anspricht – wenn wir weniger Ziegen halten, müssten wir auf Fleisch, Fell, Milch, Käse verzichten. Wie könnten wir das. Wir sind arm genug. Das fernere betreffend, da wird Gott weiterhelfen.“
Ich hatte meinen Einwurf sehr zu bereuen. Die Unterhaltung versackte danach, die Teegesellschaft löste sich auf, man verlief sich in den Garten. Hermann Hesse allerdings hatte mir sehr ernst zugehört. Ich glaube, ich darf sogar sagen, zustimmend. Aber Frau Ninon verzieh mir nie. Sie strafte mich fortan durch betonte Distanzierung. Auch wurde ich nie wieder zum Tee eingeladen.
Werner Helwig über seinen Besuch bei Hermann Hesse 1939
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Rainer Maria Rilke
Von Montagnola aus schlug ich mich dann bis in die Westschweiz durch und gelangte – es war nun spät im Herbst und – was ich noch nicht ahnen konnte – das letzte Lebensjahr des Malte-Dichters, nach Sierre. Hier nun, gesalbt mit verehrungsvoller Vorsicht und Scheu, machte ich mir eines Morgens meinen Lagerplatz angesichts des Château von Muzot.
Es war gegen Mittag. Ich hatte mir einen Beobachtungsposten unter einem Obstbaum in der Nähe eines Wegkreuzes eingerichtet. Auf meiner Decke sitzend, an den Stamm gelehnt, das Notizbuch auf den Knien, sammelte ich aufs Papier, was der Blick mir zutrug. Ab und zu eine Zigarette drehend, nahm ich den getreppten Giebel des überaus bescheiden wirkenden „Schlösschens“ wahr, hinter dessen spürbar dicken und gewiss kältenden Mauern einer der merkwürdigsten Menschen dieses Zeitalters sich der schwierigen Aufgabe unterzog, Poet zu sein und nichts anderes. War es erlaubt anzuklopfen und damit vielleicht den Kultus angestrengt abgewarteter Eingebung störend zu unterbrechen? Ich wagte es nicht. Aber ich wähnte durch die Macht meines Wartens oder Erwartens die Dinge auf mich zu ziehen, sie in meinem Sinne in Bewegung zu setzen. Meine Geduld wurde belohnt.
Ein puppenhaft kleiner, wie für einen Spaziergang in den Tuilerien gekleideter Herr im Ulster und mit weißen Gamaschen kam des Weges daher, der an meinem entlanglief.
Sein Blick maß die Gegend. Irre ich mich, dass er ab und zu ein Glas ins Auge klemmte -, er, der nie zuließ, dass ein Photo ihn mit einem solchen zeigte?
Er sah mich, nein, er fasste mich ins Auge, muss ich sagen, erschrak sichtlich, ließ es aber durch künstlich übertriebenen Gleichmut wie ungeschehen sein und tastete sich weiter mit seinem Spazierstock.
Als er sich auf gleicher Höhe mit mir befand und ein Auge-in-Auge unvermeidlich wurde, hielt er an, grüßte französisch und betrachtetet erstaunt mein Lager, seine Anordnung, die Dinge, die mich umgaben, Kesselchen, Ranzen, ausgezogene Schuhe, Notizblock, die auf Belagerung schließen ließen.
Unvergessen ist mir sein im Schatten des Hutes sehr klein wirkendes, fast farbloses Gesicht, aus dem Lippen und Augen gleichsam übertrieben hervorstanden.
Er stützte sich auf seinen Stock, setzte einen seiner musterhaft geputzten Schuhe auf den Wiesenrain und fragte, leicht amüsiert, wie es schien, wieder auf Französisch: „C`est ici que vous avez passé la nuit?“ Ich verneinte auf Deutsch, verwundert über die tiefe, männliche Stimme, die aus dieser etwas zusammengesunkenen Gestalt tönte. Er, dadurch sichtlich belästigt, stellte sich sprachlich um und fuhr fort: „Sie sind Handwerksbursche, wie ich an Ihrem Gepäck dort sehe.“ „Ja und nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Doch nicht etwa (er dehnte das Wort ironisch) ein fahrender Scholar?“ – „Doch, so ähnlich“, murmelte ich verlegen. „Kamen Sie, um hier Besuch zu machen?“ – Er tat so, als sei er nicht zugehörig, vielleicht gar nicht Rilke, sondern jemand, der sich eben zum gleichen Zweck dem grauen Haus näherte. „Nein“, sagte ich, „dazu fehlt mir der Mut.“
„Ah“, meinte er und ließ etwas an der Hand pendeln, vielleicht das Einglas. Ich fühlte, wie er sich verschloss. „Wünschen Sie, einen Moment einzutreten“, unterbrach er schließlich das sich längende Schweigen. Ich ahnte, was er zu hören wünschte, und sagte mit Bestimmtheit: „Danke, nein, ich befinde mich hier recht gut.“
„Nun, nun“, ermutigte er mich (mit ablehnender Betonung), „vielleicht ermüdet Sie das hier“ (weite Gebärde über die Landschaft mit ihren mittagsblassen Bergkulissen im Hintergrund).
„Gewiss nicht“, sagte ich ohne meine Lage zu verändern. Ich fürchtete, ihn zu erschrecken, wenn ich mich erhöbe. Mir war meine Breite und Höhe gegenüber seiner Zierlichkeit peinlich.
„Nun denn, sagte er, sichtlich erleichtert, „auf gute Wanderschaft.“ Sprach`s, kehrte sich um und schritt langsam, wie innerlich gehemmt, zu seinem Zwergenschloss.
Wenig später näherte sich von dort her ein frauliches Wesen, wahrscheinlich sein dienstbarer Geist, mit einem silbernen Tablett, auf dem ein Glas Milch stand.
Mich nun doch erhebend, da sie auf mich zukam, nahm ich den Trunk, ließ dafür danken, rollte dann, noch in Dichtweite der Enteilenden, meine Habe zusammen und begab mich zurück nach Sierre.
Wenige Monate später, im Januar 1927, las ich in einem Zeitungsblatt, das mir der Wind vor die Füße trieb, vom Tod des Dichters.
Werner Helwig über seine Begegnung mit Rilke 1926
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Hans Henny Jahnn
Als ich 1935 für einen Sommer nach Bornholm kam, ging Jahnn im weißen Veterinärkittel über den grob gepflasterten Innenhof. Tierärztliche Instrumente ragten aus seinen Taschen. In der hübschen Gutsbesitzerwohnung, in der sich seine alten Hamburger Möbel sonderbar genug, aber für mich anheimelnd ausnahmen, gab es Regale mit Reagenzgläsern. In der schwarzen Ebenholzanrichte lagen, wie vergessen und von Krimskrams wunderlich erstickt, die goldbronzene Totenmaske des Musikgefährten Gottlieb Harms, auch der Abguss seiner nervigen Musikerhände, der seinerzeit mit so aufregenden und kostspieligen Mühen erstellt worden war. [...]
Was empfing mich hier?
Hans Henny Jahnn, dem sich der Traum seines Lebens erfüllt hatte. Der Pferdezüchter aus „Perrudja“; der Waldbesitzer in der Gestalt des Landbesitzers. Mustergültig lief alles Land- und Viehwirtschaftliche. [...] Einer sorgenfreien Zukunft schien nichts im Wege zu stehen. Im Wege stand sich nur wieder einmal Henny selbst.
1937 kam ich zum zweitenmal nach Bondegaard. [...] Henny sah frisch aus wie lange nicht. Im Haus befand sic, etwa im gleichen Alter mit Jahnns Tochter Signe, der Sohn von Gottlieb Harms, Eduard, ein Kind von zarten Manieren, leise, altklug, seiner Mutter Mona sehr ähnlich. Monna befand sich in der Schweiz, an der Seite des zweiten Gatten. Der Hof war somit aller Spannungen bar [...].
Es war der schönste Sommer, den ich je mit ihm verbrachte. [...] Jahnns Sonntagslaune trug die Stunden schwerelos durch die Tage, durch die Nächte. Endlose Musikerörterungen am Flügel, wo er Orgelpartituren von Samuel Scheidt, Sweelinck, Dietrich Buxtehude auf die Tasten übersetzte, um Kompositionsgeheimnisse zu demonstrieren.
Ellinor, Jahnns Frau, blühte, sah mädchenhaft jung aus, zeigte sich, wie immer, als ein liebenswerter Mensch. Wir machten Sonntagsausfahrten mit Jahnns Lieblingsstute Lotte. Er selbst kutschierte. Die Insel war ein „Ugrino“-Traum [...].
Genau sehe ich sein Gesicht noch vor mir: alle Widersprüche seines Wesens ausgeprägt ineinander. Die feingezeichnete Stirn wie auf dem Mädchenporträt eines Florentiner Meisters um 1500. Die von schweren Lidern überspielten Augen, deren graues Blau im Zustand des Erschreckens blass werden konnte. Eine Nase, deren Flügel breit dem Gesicht anlagen, weswegen er gelegentlich im Scherz als weißer Neger angesprochen wurde: eine Charakterisierung, die ihm nicht unsympathisch war. Der Kopf mit dem falben, schlichten Haar, im Zuschnitt norddeutsch; nach den wuchtigen Kinnbacken zu ein wenig breiter werdend, als es der Stirn zuträglich war. Das Kinn unterm breitlippigen, langen Mund wiederum in Widerspruch dazu klein, rund, kindlich. [...] Alles in allem ein Person von sozusagen seriöser Gesundheit. Als Angreifer – es sei hier einmal erwähnt - hätte er außerordentliche Kraft entwickeln können. Aber er griff nicht an. Er wehrte ab, spreizte die Dinge von sich weg. Das ging bis zum Händegruß. Nie gab er einem den Händedruck ernstlich zurück. Er hielt seine Patsche einfach in die Gegend, aus der ein Gruß zu befürchten war. Der andere durfte drücken. Eine Angewohnheit, die mir immer ein wenig unheimlich war.
Werner Helwig über Besuche bei H.H. Jahnn auf Bondegaard (1935, 1937)
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James Joyce
James Joyce [...].trat ganz zufällig in mein Leben. Es war November 1940 in Zürich. Ich weilte als Emigrant in der Stadt, speiste manchmal mittags im Restaurant am Pfauen, wo man oft Theaterleute traf. Dort beobachtete ich am Nachbartisch einen älteren, sehr mageren, sehr gebrechlich wirkenden Herrn, den man wegen der Zierlichkeit seiner Bewegungen für einen abgedankten Equilibristen hätte halten können.
Er hatte ein paar Gazetten, Neue Zürcher Zeitung, Stadtanzeiger, Nationalzeitung, vor sich liegen und hatte offenbar ungeheure Mühe mit dem Lesen. Er trug eine Brille, deren eines Glas schwarz war, und hielt das Blatt handbreit vor sein gesundes Auge. Der Anblick dauerte mich, und ich erbot mich, ihm vorzulesen, was ihn interessierte.
Er sprach das gebrochene Deutsch eines typischen Engländers und nahm an.
Was ihn interessierte, waren nun nicht, wie man hätte meinen können, die letzten Kriegsnachrichten, sondern ausschließlich die Skandalchronik. Das war der Ire James Joyce. Sein Name war mir nicht unbekannt [...] Mehrmals begleitete ich dann Joyce zu einem kurzen Spaziergang in die Oberdorfstraße, wo er, sein Rohrstöckchen schwingend, vor den Suchkästen der Antiquariate (bevorzugt vor Hans Rohrs verlockend aufgemachtem Laden) verweilte.
Er griff, blindlings gleichsam, Bände heraus, die ihn interessierten, gerne solche okkulten Inhalts, oder Spezielles, etwa über „Gerüche“. Dabei entging ihm nicht, was so am Wege herumlag. Denn er war abergläubisch, wie nur ein Ire es sein kann, erwartetet immer Hinweise, Warnungen, die sich ihm aus einem Zeitungsfetzen, einem einzelnen Wort ergeben mochten. So fand er einmal – es war unser letzter gemeinsamer Spaziergang – eine schwarze Kreuz-Neun, knipste mit den Fingern geziert an den Rand der Karte und sagte: „Schlechtes Zeichen, schlechtes Zeichen“ und ließ die Karte wieder fallen. Ich hob sie auf und bewahre sie bis heute.
Danach sahen wir uns nicht wieder. Er musste das Bett hüten, war zeitweise wieder mobil, wurde dann aber wegen Magenkrämpfen am 11. Januar 1941 ins Schwesternhaus vom Roten Kreuz überführt, wo er am 13. Januar starb. Er hatte sich in einem Wutanfall (oder aus Schmerzensüberdruß) die Röhren des Transfusionsapparats vom Leib gerissen.
Einer der behandelnden Ärzte, mit dem ich später ins Gespräch kam, sagte mir, er habe Joyce sagen hören: ‚Man lebt und weiß den Tod. Alles andere ist Beschäftigungstherapie’.
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Fidus (Hugo Höppener)
„Es war im Oktober 1928, kurz vor dem sechzigsten Geburtstag unseres ‚Meisters’, als ich mit einer Berliner Wandervogelgruppe, der ich mich gastweise angeschlossen hatte, nach Wolterdorf hinausfuhr. Dort hatte er sein ‚Bayreuth’ gegründet, ein Haus, nach Maß erbaut, das ihm und den vielfältig Seinigen seit zwanzig Jahren diente. ...
Wir hatten absichtlich die Woche vor dem Geburtstag für unseren Besuch gewählt, um dem zu befürchtenden Gedränge zu entgehen. Ein kleiner alter Herr in altdeutsch wirkender Tracht trat uns mit nachschleifendem Fuß (ein Leiden, das ihn vorm Militärdienst bewahrt hatte) entgegen.. Forschende Augen, Prophetenköpfchen (heute würde er damit gar nicht mehr auffallen), trockene Hände, die uns mit flüchtigem Druck gereicht wurden, ruhige Tenorstimme. Ich dachte, das sei so eine Art Butler und verhielt mich entsprechend, bis einer, der ihn kannte, mir zuflüsterte, das sei er höchstselbst.
Von da an beobachtete ich ihn. Er hinkte uns voran. Im Hintergrund verschwand ein Hennenvolk von weiblichen Wesen. Man war gerade beschäftigt gewesen, Kistenholz für einen kleine Eisenofen zu spalten, dessen Rohr in sonderbaren Windungen nach oben führte. De Meister wies uns, als wären wir dafür gekommen, allerlei Hausarbeit zu. Man wurde tätig. Die Wärme (draußen war’s recht frisch, und drinnen zog es von allen Ecken her) nahm zu. Das Öfchen glühte und qualmte. Irgendwo gab es auch einen offenen Kamin, aber er war von gerahmten Bildern verstellt. So eingespannt zu werden, erleichterte dann – falls es so gedacht war – in der Tat den Umgang mit dem Menschen, der uns als Maler, Zeichner, Theosoph, Körperkulturist, Bildhauer, Architekt, Vegetarier, Musikpädagoge, Schriftreformer, Tanztheoretiker und Neogermane bekannt war, - also jener Vielzahl von Bestrebungen, die sich ergeben, wenn einer über seinen persönlichen Rahmen hinaus nach ganzheitlichen Regelungen strebt. Letztlich war die ‚Kommune’ sein Ziel, wie sie heute unter neuen, andersartigen, vorzugsweise anarchistischen Aspekten hie und da mit wechselndem Erfolg versucht wird.
Da alle Besucher nun in nutzbringende Tätigkeiten verstrickt waren, ergab sich für mich der günstige Augenblick, den sonderbaren Mann allein ins Gespräch zu ziehen.
Er war überaus aufmerksam, nahm meine Skepsis ernst, versuchte mich in seinem Sinne zu überzeugen und führte mir verschiedene seiner neueren und älteren Gemälde, Entwürfe, Zeichnungen vor. Seine Jugendstil-Lianen, auf allen Blättern üppig wuchernd, gerieten mir dabei ins gleiche Feld wie sein Vegetarismus. Überhaupt gab es da ein Kreuz und Quer an Verbindlichkeiten, die mir diese abstruse Aufsplitterung seiner Kräfte und Möglichkeiten erklärlich machten. ...
Nicht alles, was Fidus damals sagte, erscheint mir heute unsinnig, sofern ich das Zeitbedingte davon abziehe, seinen Germanenfimmel etwa, dem ich es womöglich dankte, dass er mich einlud, in seine ‚Kommune’ einzutreten. Vergeblich allerdings, - ich wünschte mir persönliche Freiheit, und in diesem Wunsch bin ich mir bis heute gleichgeblieben., ohne deswegen die vielfältigen Eindrücke, die mir die wunderlichen Zwanzigerjahre zumuteten, verächtlich zu finden. ...
Das Frauengeflügel – kuttentragende Engel in Zöpfchenfrisur oder offenen Haaren mit Silberreifen um die Stirn – hatte sich auch wieder vorgewagt und probte einen Geburtstags-Reigen in langsamen Schritten. Verständlich, hinsichtlich des Fußschadens ihres Meisters. Ihr Singsang täuschte eine Freudenwelt des Friedens vor. Doch man ahnte die Konflikte, wenn man ihre Gesichter studierte, die kaum den überall hängenden oder angelehnten grazilen Mädchenakten glichen. Das Ringen um Bevorzugung oder um Einflussnahme mochte hier manche Stunde zersetzen. Das ist ja nie anders, wo viele sich um einen ranken. ...
Das war also der Geburtstags-Oktober 1928, der den verlöschenden Ruhm des Meisters noch einmal durch eine Reihe von Schauveranstaltungen in Bewegung setzen sollte. Wer konnte ahnen, dass fünf Jahre später jene runenfreudige Partei zur Macht gelangen würde, die den endgültigen Untergang dessen, was sich Deutschland nannte, einleitete. Und dass Fidus, in Konsequenz seines völkischen Engagements, schon seit Jahren Vorsorge getroffen hatte: er besaß ein Parteibuch. Doch seine Hoffnung, dass ihm nun die ersehnten Großaufträge zukommen würden ... trog. Die Nazis hatten keine Verwendung für ihn. ...
Aus: Werner Helwig, ZEITGEWÄCHS „FIDUS“
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