Logo von Werner Helwig: EX-LIBRIS                                                                                     wurde nach einem Original gedruckt,
das Aubrey Beardsley für Willy Helwig,
Werner Helwigs Vater, entwarf.



Aktuelles ::  Biographisches ::  Werke ::  Leseproben ::  Gedichte

Stimmen ::  Begegnungen ::  Briefe ::  Archiv ::  Links


Impressum ::  Home















A  K  T  U  E  L  L  E  S   /   N  E  U   I  G  K  E  I  T  E  N   /   N  E  W  S



April 2016:
COMEBACK DER HELLAS-TRILOGIE VON WERNER HELWIG

Neuerscheinung der Romane
RAUBFISCHER IN HELLAS, IM DICKICHT DES PELION und REISE OHNE HEIMKEHR

bei S. Fischer, dem ersten Verlag, der nicht mehr erhältliche Bücher in klassischer Buchform wieder veröffentlicht und sie zugleich in digitalisierter Form als E-books zugänglich macht (im Buchhandel sowie im Internet als Taschenbuch oder als E-book).



Cover des Buches Raubfischer in Hellas       Cover des Buches Im Dickicht des Pelion        Cover des Buches Reise ohne Heimkehr

RAUBFISCHER IN HELLAS     Taschenbuch  € 10,99       E-book   € 3.99

IM DICKICHT DES PELION     Taschenbuch  € 12.99       E-book   € 3.99

REISE OHNE HEIMKEHR        Taschenbuch  € 13.99       E-book   € 4.99







Werner Helwig. - Eine nachgetragene Autobiographie







Cover des Buches, gestaltet von peter weismann unter Verwendung einer Fotographie von Pierre Richard


Zusammengestellt, kommentiert und herausgegeben
von Ursula Prause
Redaktionelle Mitarbeit: peter weismann

Band 83 der Reihe "Presse und Geschichte",
edition lumière, Bremen 2014

604 S. - zahlr. farbige Abb. - Bilderdruckpapier -
fester Einband - fadengeheftet - Lesebändchen -
Gewicht 1,5 kg

ISBN 978-3-943245-23-3

Subskriptionspreis bei Direktbestellung beim
Verlag bis zum 31.12.2014 € 29,80 plus Versandkosten


Ladenpreis ab 1. Januar 2015 € 39,80

edition lumière
Elke Ehlers
Scharnhorststraße 26
28211 Bremen
www.editionlumiere.de/bestellen.php



Werner Helwig, schreibt Jean Améry 1965, ist das, „was man einen ‚bekannten und vor allem angesehenen Autor’ nennt“, und weiter heißt es bei Améry: „Das eigentliche ‚Werk’ Helwigs aber, das übrigens zu den tatsächlich niedergelegten Schriften in einem ungewöhnlich engen Wesenszusammenhang steht, ist sein Leben: das Leben eines Mannes, der mit mehr Berechtigung als andere von sich sagen dürfte, er gehöre einer ‚verlorenen Generation’ an.“ Dieses „eigentliche Werk“, Helwigs Leben in den Wirren und Fährnissen des 20. Jahrhunderts, blättert die vorliegende „nachgetragene Autobiographie“ auf und liefert damit zugleich eine kleine Geschichte der bündischen Bewegung, die Helwig und sein Werk prägten. Autobiographische Erzählungen, kleine Essays und Aufsätze, Reiseberichte und Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Gedichte, Lieder, Auszüge aus einem „Knast-Tagebuch“ und andere Texte und Dokumente, viele davon unveröffentlicht, eröffnen Helwigs Welt und seine Persönlichkeit und lassen die Leser teilhaben an dem bewegten Leben eines Zeitgenossen dieses so folgenreichen Jahrhunderts.




Vorwort

von Ursula Prause

„Was ich zu sagen habe, steht in meinen Büchern“, hat Werner Helwig geschrieben. Was ich als Herausgeberin der „nachgetragenen Autobiographie“ zu sagen habe, steht in diesem Vorwort, das nie geschrieben worden wäre ohne die sehr persönliche Vorgeschichte, wie und unter welchen Umständen ich dazu kam, mich mit Person und Werk von Werner Helwig zu beschäftigen. Was heißt, wie ich dazu kam? Helwig und sein Werk kamen auf mich zu. Helwig würde sagen, wie er in Wortblätter im Winde schreibt: „Der Zufall fügte es: Der Zufall, der uns manchmal vermuten lässt, er bedeute das eigentlich uns Bestimmte, uns Zufallende“.


Der Zufall fügte es, dass Helwigs Bücher einer knapp 15-jährigen Schülerin in die Hände fielen, das Mädchen über diese „Begegnung mit Werner Helwig“ einen Artikel für die Schülerzeitung verfasste und einen Brief an Werner Helwig schrieb. Über 20 Jahre korrespondierte das Mädchen mit Helwig und lernte erst als 38-jährige Frau den inzwischen 76-Jährigen persönlich kennen. Wie „magisch geführt“, schrieb sie später, sei sie Helwig über die Zeit immer näher gekommen. Sie heiratete ihn. Ich hielt sie für verrückt. Das Mädchen war meine Schwester.


Ich bekam Helwig zum ersten Mal 1981 auf dem Frankfurter Flughafen zu Gesicht: ein ungetümes Mannsbild, das mit meiner Schwester Gerda ein wunderliches und auffallendes Paar abgab. Sie kamen von ihrer standesamtlichen Trauung in Schmallenberg/Sauerland, wo Gerda und ich aufgewachsen sind, und wollten nach Genf zurückfliegen. Zwei Jahre später sah ich ihn wieder in der Genfer Wohnung: eine majestätische Gestalt in einer mir fremden Welt, in der alles magisch-mythisch aufgeladen schien. Hier spürte ich die Anziehungskraft, die von diesem Menschen ausging, und begann meine Schwester zu verstehen.


Als er wenig später schwer erkrankte und mich in seinen letzten Lebenstagen bei sich sein ließ, begriff ich mehr von ihm. Vieles über ihn erfuhr ich nach seinem Tod von Gerda, mit der mich zeitlebens eine sehr innige, fast symbiotische Beziehung verband. Sie ließ mich an ihren Erinnerungen teilhaben und nahm mich mit auf ihre mentalen Reisen in Helwigs Vergangenheit. So geriet ich meinerseits in den Bann dieses Mannes und seines Werkes.


1998 fiel mir völlig unerwartet Helwigs gesamtes Erbe zu. Meine Schwester hatte es so verfügt. 13 Jahre hat sie Helwig überlebt, beschäftigt damit, seinen Nachlass zu ordnen und den Namen und das Werk ihres Mannes in der kulturellen Öffentlichkeit präsent zu halten.


„Jedem Schriftsteller steht seine Witwe bevor“, schreibt Helwig in seinem Buch Die Parabel vom gestörten Kristall. „Jede hat ein Eheleben lang ein ganz klein wenig an der Goethefähigkeit ihres Gespons gezweifelt. Mit dem Tod ändert sich das. Das Idol kann geboren werden.“ Angesichts der nicht enden wollenden Arbeit an Helwigs Nachlass kommentierte Gerda einmal bitter ironisch, es als Witwe noch nicht einmal geschafft zu haben, ihren Mann in Verruf zu bringen. Vielleicht ist sie ihm aus Verzweiflung nachgegangen. Die näheren Umstände ihres Todes liegen bis heute im Dunkeln. Dass Gerda mir den Nachlass übereignete, begriff ich als schwesterlichen Auftrag zur Fortführung ihrer Arbeit.


Zur Hinterlassenschaft meiner Schwester gehören die Fragmente einer Helwig-Biographie. Werner Helwig hatte in seinen letzten Jahren mit dem Gedanken gespielt, „Memoiren“ zu schreiben, hatte in einer „Erinnerungsmappe“ Texte zur „Rückschau“ zu sammeln begonnen und Gerda gebeten, alles zusammenzutragen, was in seinem Werk, seiner Korrespondenz und seinen Tagebüchern als Material für eine Autobiographie vorhanden ist. Der Tod durchkreuzte sein Vorhaben.


Gerda nahm es auf mit der Arbeit an einer Biographie. Sie ging dabei von den „Selbstzeugnissen“ in Helwigs Werk aus und war überzeugt, es könne „nur recht sein, ‚puzzelt’ der Herausgeber – legitimiert durch genaue Kenntnis seines Lebens – all jene Episoden aneinander, die, gleichsam an einem Strang gelesen, die Biographie ergeben.“ Diesen Ansatz machte ich mir für die Arbeit an der vorliegenden „nachgetragenen Autobiographie“ zu eigen.


Wie heißt es bei Helwig? „Jedem Schriftsteller steht seine Witwe bevor oder diejenige, die sich dafür hält. Und jetzt beginnt die Nachlassbewirtschaftung. Man beendet seine halbfertig liegen-gebliebenen Schulaufgaben.“



Helwig hat ein literarisches Werk hinterlassen, das mehr als das vieler anderer Autoren autobiographisch geprägt ist. Das gilt für alle literarischen Gattungen, deren er sich bedient hat, seine Gedichte nicht ausgenommen. Ausgesprochen autobiographisch sind seine Bücher Auf der Knabenfährte, Die Blaue Blume des Wandervogels, Capri. Magische Insel und Totenklage. Texte aus diesen und weiteren Werken Helwigs wurden in Auszügen in dieses Buch aufgenommen. Hauptsächlich aber sind hier Texte versammelt worden, die spezielle Begebenheiten oder Begegnungen in Helwigs Leben zum Thema haben und die von Helwig als Einzeltexte konzipiert und veröffentlicht worden sind, auch wenn er manche davon später in seine Bücher integriert hat. Diese in sich geschlossenen Texte, einige von ihnen hier zum ersten Mal veröffentlicht, wurden im Wesentlichen ungekürzt übernommen. Hinzu kommen weitgehend noch nicht publizierte Selbstzeugnisse aus Helwigs immens umfangreicher Korrespondenz und aus seinen Tagebüchern. In vielen Texten macht Helwig Angaben zur Datierung, oder die Texte haben datierbare Ereignisse zum Thema. Trotzdem ist es nicht möglich, sie als Kapitel einer chronologisch fortlaufenden Biographie zusammenzustellen. Helwig schrieb die meisten hier versammelten Texte mit großem zeitlichen Abstand zu den tatsächlichen Ereignissen und aus unterschiedlichen Anlässen.


Anlass war ihm dabei nie das Verfassen einer Autobiographie, sondern meist stand die Erinnerungsarbeit im Zusammenhang mit einer gegenwärtig aktuellen Thematik, die es ihm notwendig erscheinen ließ, die eigene Geschichte zu erkunden. Da kann es nicht ausbleiben, dass sich in den einzelnen Texten das eine oder andere wiederholt, in wechselnden Zusammenhängen auftaucht und aus wechselnder Perspektive in verschiedenen, auch widersprüchlichen Versionen zur Sprache kommt. Der Leser der „nachgetragenen Autobiographie“ ist also mit Texten konfrontiert, in denen die stringente Chronologie der Lebensgeschichte durch Helwigs Vor- und Rückschauen zum jeweiligen Zeitpunkt des Schreibens aufgebrochen wird, wobei es zwangsläufig zu reizvollen Überschneidungen, interessanten Verschränkungen und denkwürdigen Widersprüchen kommt, die einer so vielschichtigen Persönlichkeit wie Werner Helwig eigen sind. […]



      Inhalt


Vorworte Ursula Prause
Werner Helwig: Weltfahrten nach Außen und Innen
    9
  12
Das Kind und der Knabe Der Großvater
Wie ich an Bücher geriet
Feuer im Schwanenhaus
Berlin, 9. November 1918
Erinnerung an meinen ersten Wandervogelführer
Lehrling in Parchim
  13
  22
  26
  36
  41
  49
Ausbruch und Aufbruch Vom Dammtor zu Walter Serno
Unbemerkter Untergang
Junge Menschen von damals
Preisgesang auf Walter Hammer
Meine Schule des Lesens
Abschied vom Vater
  59
  65
  72
  75
  75
  77
Literarische Vagabondagen Besuch bei Knut Hamsun
Begegnungen mit Alfred Mombert, Thomas Mann,
Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke
  81
  
  85
Burg Waldeck im Hunsrück Die Entdeckung der Waldeck
Ankunft auf der Waldeck und erste Prüfung
Burgorden
Bundeslied 1929
Wie es zu den Liedern kam
Meine geliebte wunderbare Hütte
Vom Leben auf der Waldeck. Aus dem Briefwechsel
mit den Eltern
Erinnerung an Ernst Fuhrmann
Zeitgewächs "Fidus"
  89
  93
  95
  98
  98
102

105
122
131
Der Norden Mein Erlebnis mit Robert
Galdhöpiggens Trost und Trübsal
Die Gletscher-Ballade
Von Lappland zurück
Tramp Toddy
135
139
144
146
151
Bakschaft Störtebeker Lehrstuhl für Vagabondage
Zehn Hamburger Jungens unterwegs
155
161
Knabenethos - Eros - Knast Vor dem Untersuchungsrichter
Plädoyer
Lebenslauf
Die Legende vom unerschrockenen Henny
171
175
176
180
Tusk Ein gestaltloses Metaphysikum? 183
Der Süden Notizen zur Person
Paestum
Brief vom Ätna
Capri wider Willen
Capri 1933 - Begegnung mit Theodor Däubler
187
190
195
199
202
Das Nazisyndrom
Über meine "Dienstzeit" in der H.J.
Briefe an den Vater
Geschichte meiner Veröffentlichungen in
der Rabenpresse
Rechtfertigung
Versuch einer Erklärung
Nur noch Sprache ist Heimat
205
206
209

212
215
218
225
Von Capri zum Pelion
Volos verdanke ich viel
Raubfischer-Tagebuch
227
228
232
Casa Erce und die Liebe Casa Erce
Bettina
241
244
Abstecher in den Norden Auf Island 253
Raubfischer. Wieder unter-
wegs in Hellas
Auf die Klippe geworfen
Besuch im weißen Haus von Kolocep
Hellenen, auch heute?
263
266
269
Zuflucht Zürich Tee bei Hermann Hesse
Der Pfau, ein Omen für Ulysses
Geometrie der Beziehungen
Begegnung mit Yvonne
"Henry Benrath - der bin ich"
"Le Crèpuscule"
271
273
275
276
278
282
Im Liechtensteiner Exil Spuk im Fürstentum Liechtenstein
Der Sohn Wolfgang
Unfall und Erinnerung Epitaph für einen Freund
Erinnerungsblatt
287
297
300
305
Kriegsende 1945 Brief an Hans Henny Jahnn
Deutsche Gesänge 1945
Ich tauche hinab in meinen Leichnam
Kernspaltungs-Bedenken
309
311
314
315
Behördenkrieg Richtigstellung
Brief an Hans Oprecht
Briefe an den Arzt Dr. Trüb
317
320
323
Neubeginn in den 1950er
Jahren

Auf der Knabenfährte
Offener Brief
Der lange Weg zu Arno Schmidt
327
328
341
346
Die Genfer Jahre in der
rue de Carouge
Warum ich im Ausland lebe
Eine seltsame Begegnung
"Eingabe" für Wolfgang
Der Tod des Vaters
Ahnung zum Tode hin
349
355
359
361
369
Der Raubfischer-Konflikt
Aus den Prozessakten
In memoriam Alfons Hochhauser
377
383
Moillesulaz - Flüchten oder
Standhalten
Die andere Seite der Architektur
Jahresbeichte 1967
Mit dem Wäschekorb durch die Bibliothek
Reisen - nicht zum Vergnügen
385
392
397
400
Reisen
Reiseprosa
Oberfläche Japan
Windenblüte oder Spinne
Das Prinzip meines Sammelns
403
406
414
418
422
"…als Du noch Sozialist
warst"
Briefe an Agathe Haupt 425
Capri. Magische Insel
Nächtliche Überschwemmung
Willy Kluck
Freundschaft
431
432
436
442
Persönlich angetroffen
Notizen über den Meister der Notiz
Begegnung mit Grigol Robakidse
Mit Delvaux im "Nachtzug"
Autokritik
467
468
474
479
484
Die letzten Jahre mit Yvonne Mir selbst zum Geburtstag
Tagebuchblatt, Genf, den 4. Juli 1975
Totenklage
Tagebuch 1979
487
488
492
495
Kleine Rechenschaften Natürlich bin ich kein Don Juan
An einen Dichterling
Wie bitte? - Nicht mehr rauchen?
497
497
498
Gerhard
Der Sorgensohn
Brief an Käthe Müller
Wohnungsbesetzungs-Ideologie
501
503
507
509
Gerda
Briefliche Verführung
Begegnung mit Gerda
Ibiza, Urtext seiner selbst
Ton-Band-Etüde, op. 1 in weh- und gemoll
513
514
523
524
530
Abgesang Ernste Zweifel am schreibenden Tun
Selbstbildnis
Waldregenworte
535
538
539
Anhang Anmerkungen
Bibliographie
Danksagung
547
595
599





Rezension des Buches von Prof. Dr. Jürgen Reulecke

Wer diese von der Historikerin Ursula Prause zusammengestellte und kommentierte „nachgetragene Autobiographie“ Werner Helwigs in die Hand nimmt, stellt sofort fest, dass es sich hierbei um ein in mehrfacher Hinsicht gewichtiges, d.h. höchst eindrucksvolles und umfangreiches Mosaik handelt: Auf knapp sechshundert Seiten mit weit über einhundert autobiographischen Aufzeichnungen und sonstigen Texten Helwigs, mit einer großen Anzahl von Fotos und Abbildungen sowie mit einer beeindruckenden Fülle zusätzlicher Informationen, die die Herausgeberin an den Seitenrändern in Form von Nachweisen und Ergänzungen sowie in einem umfangreichen Anmerkungsanhang eingefügt hat, lernt der Leser mit dem 1905 in Berlin geborenen und aufgewachsenen, anschließend eine Zeitlang in Hamburg lebenden Helwig ein recht spezielles, seit Beginn der 1920er Jahre dann jugendbewegt geprägtes Mitglied jener „Jahrhundertgeneration“ kennen, deren Angehörige als Kriegskinder des Ersten Weltkriegs zu Beginn der Weimarer Republik ihre Wanderung durch die immens herausfordernden Verhältnisse des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts begonnen haben und – wenn sie das „Dritte Reich“ und den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten – in der Folgezeit an den Weichenstellungen in Richtung Bewältigung der Folgen des NS-Regimes und des Weltkriegs maßgeblich, wenn auch in zum Teil recht heterogener Weise mitgewirkt haben.

        Bereits die einleitenden Erläuterungen Ursula Prauses zur Entstehung bzw. zu den konkreten Gründen für dieses „Nachtragen“ der autobiographischen Quellen Helwigs, d.h. seiner Selbstreflexionen und seines Austausches mit einer Vielzahl von Zeitgenossen, sind eindrucksvoll. Als Schwester von Gerda Helwig, der 1998 verstorbenen zweiten Frau Helwigs, hatte sie einen großen Teil seines Nachlasses übernommen und diese Übernahme dann als Auftrag verstanden, deren Plan in die Tat umzusetzen, die Selbstzeugnisse Helwigs als Grundlage einer Biographie über ihn auszuwerten – dies auch deshalb, weil er selbst schon kurz vor seinem Tod damit begonnen hatte, viele seiner Aufzeichnungen und Texte für ein von ihm geplantes autobiographisches Werk zusammenzustellen.

        Die immens detailreichen, oft spannenden Berichte über die Prägungen, Erlebnisse und Erfahrungen, auch über die Existenzprobleme und Selbstzweifel dieses - wie er sich selbst einmal bezeichnet hat (S. 190) – „mythischen und nebelhaften Charakters“ ausführlicher vorstellen zu wollen, würde hier zu weit führen. Sie beginnen im ersten Drittel des Buches mit der Kindheit und den Familienverhältnissen, mit der früh durch die Scheidung der Eltern bedingten „Vaterarmut“ in seiner Adoleszenzzeit und seiner Suche nach geistiger Orientierung (die er als 15jähriger dann von einem Berliner Wandervogelführer erhielt) sowie mit seinen diffusen Ausbildungsverhältnissen, außerdem mit seinen frühen Begegnungen z.B. mit Walter Hammer, Thomas Mann, Hermann Hesse, Rainer Maria Rilke und laufen schließlich auf die intensiven Erfahrungen mit dem Nerother Wandervogel auf Burg Waldeck im Hunsrück, vor allem mit Robert Oelbermann hinaus, die auch zu Kontakten mit Tusk (Eberhard Koebel), dem Gründer der dj.1.11, und zur Bildung einer eigenen Nerother-Gruppe in Hamburg mit diversen Großfahrten führten sowie 1931/32 zu einer neunmonatigen Haft wegen einer homosexuellen Episode.

        Das mittlere Drittel des Buches unter dem Obertitel „Der Süden“ liefert wegen der diffusen Verhältnisse in Helwigs Lebenslauf bis zum Beginn der 1950er Jahre eine Fülle recht erschütternder Berichte, beginnend mit Informationen über seine erste Reise nach seiner Haft Anfang 1933 angesichts der Hitler’schen Machtübernahme nach Italien bis Sizilien, dann nach Tripolis und zurück nach Capri, wo er Theodor Däubler kennen lernte. Seine Selbstsicht in dieser Zeit lautet, er sei mit sich „selber zerfallen und innerlich so zerrissen, dass (er) weder zur Arbeit noch zu irgendwelchen Unternehmungen tauge“ (S. 188). Allerdings hatte ihn ein Besuch vor allem in Paestum intensiv mit der Antike in Verbindung gebracht und stark beeindruckt, was von nun an vielerlei Folgen haben sollte. Um aus seinem psychischen Tiefpunkt wieder herauszukommen, entschied er sich jedoch zunächst dann doch, in das NS-Regimes zurückzukehren und mit Nerother-Freunden in Wiesbaden angesichts des Gleichschaltungszwangs in die HJ einzutreten, um die Existenz der Wiesbadener Nerothergruppe als „Spielschar“ zu erhalten. Helwig passte sich darüber hinaus zusätzlich noch weiter den politischen Verhältnisse an, indem er von November 1933 bis Anfang 1934 auch ein „Kultursachbearbeiter“ in Frankfurt wurde und darüber hinaus eine Reihe von erfolgreichen Schriften für die HJ publizierte. In einem Brief an seinen Vater schrieb er jedoch Anfang März 1934, er sei „abgekämpft wie eine Sau nach der Hatz“ mit völlig „ausgelöschtem Familienleben“ (S. 210) und sah „Furchtbares kommen“, ähnlich dem August 1914. Er wandert deshalb erneut in Richtung Capri aus und 1935 schließlich zum Pelion in Griechenland, wo ein Nerother-Freund sich niedergelassen hatte. Hier entstanden dann seine drei berühmten Hellas-Romane (z.B. „Raubfischer in Hellas“). Von Griechenland aus unternahm er eine Vielzahl von Reisen, z.B. auch nach Island, ehe er sich 1939 als Emigrant in der Schweiz niederließ und 1941 die Schweizerin Yvonne heiratete. 1942 wurde er allerdings aus der Schweiz ausgewiesen und ließ sich unter erbärmlichen Verhältnissen, zum Teil ganz erheblich belastet von einem bis Ende der 1940er Jahre andauernden „Behördenkrieg“, in Liechtenstein nieder. Zwei Söhne wurden in dieser Zeit geboren: Wolfgang 1941 noch vor dem Liechtensteiner Exil in Genf, Gerhard dann 1943. Ein massiver Kulturpessimismus, eine Resignation und starke Erschütterungen vor allem auch angesichts der Atombombenabwürfe in Japan waren die Folge der Herausforderungen jener Jahre, ehe Helwig ab Beginn der 1950er Jahre einen „Neubeginn“ erlebte, der den dritten Teil der „nachgetragenen Autobiographie“ bestimmt - auch hier wieder mit einer Vielzahl von eindrucksvollen Quellen belegt.

        Sein erster Besuch in Deutschland Anfang 1950 nach zehn Jahren Abwesenheit (zunächst bis 1949 im „Exil“ in Liechtenstein, danach in Genf) führte ihn vor allen auch wieder zur Nerother-Burg Waldeck mit Eindrücken und Erfahrungen, die ihn dazu brachten, anschließend in kurzer Zeit sein sofort viel beachtetes Buch „Auf der Knabenfährte“ zu schreiben und von nun an häufig wieder die Waldeck zu besuchen (was zum Teil auch zu Problemen mit seiner Frau Yvonne führte). Eine Fülle von Schriften, Artikeln in Zeitschriften, Essays, politischen Stellungnahmen usw. publizierte er in der Folgezeit und wurde schließlich mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse gewürdigt. Gleichzeitig bestimmten ab jetzt – neben immer wieder dem Ziel Capri - weltweite Reisen bis nach Japan und Kanada, oft zusammen mit seiner Frau, die nächsten Jahre. Seine „Reiseleidenschaft“ wirkte sich auch in Richtung auf ein intensives Tagebuchschreiben und die Herstellung von „Reiseprosa“ sowie auf eine „Sammelobsession“ aus. Im Umfeld seines 70sten Geburtstags Anfang 1975, auch angesichts einer schweren Krankheit seiner Frau, die dann im April 1978 verstarb, begann Helwig allerdings immer intensiver, sich in Form einer „Autokritik“ selbst in die Geschichte zu stellen und gleichzeitig „Untergangsvisionen“ zu entwickeln, die nach dem Tod seiner Frau zu einer nur noch „schwer erträglichen Düsterkeit“ (S. 488) führten. Seit Anfang 1980 begann jedoch eine intensive Annäherung an eine Briefpartnerin, die 1956/57 als 15jährige Schülerin aus Schmallenberg im Sauerland Briefkontakt mit ihm aufgenommen hatte. Nach einem Treffen in Genf 1980 kam es zu einer Partnerschaft der damals 38jährigen Gerda Heimes mit dem 75jährigen Helwig, die im November 1981 zur Eheschließung (in Schmallenberg) führte. Beide erlebten zunächst noch eine recht unbeschwerte Zeit und konnten noch mehrere Reisen z.B. nach Ibiza, Dänemark und Malta unternehmen. Seine zweite Frau unterstützte Helwig nun intensiv dabei, dessen Schriften, Korrespondenzen und sonstigen Materialien zu ordnen – dies vor allem, um eine Autobiographie vorzubereiten, die jedoch infolge einer zunehmenden Erkrankung Helwigs und seines Todes Anfang 1980 kurz nach seinem achtzigsten Geburtstag nicht mehr zustande kam. Auf eigenen Wunsch wurde er (zusammen mit der Urne seiner Frau Yvonne) auf einem uralten, schon germanischen Friedhof in Wormbach bei Schmallenberg beerdigt. Gerda Helwig hat anschließend intensiv den Nachlass von Helwig bearbeitet und auch einen größeren Bestand von Helwig-Material im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein gesichtet, um die geplante Biographie voranzubringen, doch verstarb sie im März 1998 in Genf, so dass ihre Schwester Ursula seither mit großem Engagement sowie infolge weit ausgreifender und umsichtiger Recherchen deren Ziel weiter verfolgt und das nun vorliegende eindrucksvolle Werk geschaffen hat. Dass es sich dabei angesichts des immens umfangreichen Materialbestandes letztlich nur um eine wenn auch sehr breite und gut begründete Schneise des Lebens von Werner Helwig handelt, hat sie selbst angedeutet wie auch die Tatsache benannt, dass Helwig in seinen Selbstdarstellungen einen zum Teil „eher laxen oder dichterischen Umgang mit Fakten“ (S. 548) betrieben habe. Doch das schmälert in keiner Weise den immensen Wert von Ursula Prauses Leistung, denn – so hat es Walter Sauer mit Blick auf diese Art des gelegentlichen Umgehens mit Daten und Fakten bei Helwig gesagt: „Eine Geschichte, die sich als Ideen-, Geistes- und Kulturgeschichte begreift, muss neben und hinter den ,Tatsachen’ die innere Wahrheit der Zeit und Menschen sichtbar machen können“ (S. 548 Mitte, Anm. 2). Dass hier am Beispiel der Person Werner Helwigs die eindrucksvolle „innere Wahrheit“ einer herausragenden Person aus der „Jahrhundertgeneration“ vorgeführt wird, macht den ohne Zweifel großen Wert dieser ungewöhnlichen Veröffentlichung aus.





Rezension des Buches von Prof. Dr. Hans-Wolf Jäger (Bremen)

Mit dem Namen des 1905 bei Berlin geborenen und 1985 in der Schweiz verstorbenen Schriftstellers Helwig verbinden viele den Titel des so rauen wie spannenden Romans „Raubfischer in Hellas“ (1939). Welch umfangreiches lyrisches und erzählerisches Werk er außerdem geschaffen hat, offenbart der vorliegende Band. Doch folgt er vor allem dem Leben eines früh auf sich selbst gestellten, sich autodidaktisch fortbildenden, von Hunger nach Gemeinschaft, Abenteuer, literarischem Erfolg gedrängten Mannes, wie es im 20. Jahrhundert wohl selten anzutreffen ist. Der Untertitel des (mit Fotographien und mit eigenen Zeichnungen Helwigs) reich illustrierten Buchs zeigt an, dass von Hrsg.-Hand zahlreiche kleinere oder umfangreichere Beiträge zu allen Lebensphasen Helwigs, aus seinen Briefen und Tagebüchern stammend oder von ihm selbst und Anderen teils verstreut in Organen wie FAZ, Neue Rundschau, Westermanns Monatshefte, Rheinischer Merkur u.a. publiziert, in - wie der Rezensent einfügen darf – klug komponierter und informativ kommentierter Weise versammelt sind. Dunklere Phasen, wie eine Haftstrafe wegen (bestreitbarer) erotischer Verfehlung, werden nicht ausgespart, doch überwiegt die Schilderung prägender Gemeinschaftserlebnisse, etwa auf der Wandervogel-Burg Waldeck, von Reisen nach Süditalien, Lappland, Island, Japan, auf allen Meeren der Welt sowie farbig ausgemalten Begegnungen mit Malern und Literaten wie Fidus, Rilke, Hamsun, T. Mann, Hesse, Däubler, Arno Schmidt oder dem zum engen Freund gewordenen Hans Henny Jahnn. Im Ganzen ein origineller Blick auf das politische und kulturelle 20. Jahrhundert.




Buchbesprechung von Hans Steiger

publiziert in: P.S., die linke Zürcher Zeitung am 06.03.2015
hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Verfassers


Nicht nur "literarische Vagabondagen"

Zuweilen führt ein Buch gleich zum nächsten: von Jahnn [Hans Henny Jahnn. Liebe ist Quatsch. Briefe an Ellinor. Hg. von Jan Bürger und Sandra Hiemer. Hoffmann und Campe 2014] zu Helwig zum Beispiel. Literarisch wohl eine weniger wichtige Entdeckung. Aber ein Leben, das die dicke Dokumentation wert ist.

In einer der letzten Anmerkungen zu „Briefe an Ellinor“ stieß ich auf ein berührendes Zitat aus einem Schreiben, das Jahnn kurz vor seinem Tod von Werner Helwig erhielt. Es war Teil einer Korrespondenz, in der sie beide die Bilanz ihrer langen, aber oft unterbrochenen Freundschaft gezogen hatten - offen, selbstkritisch auch eigene Schwächen erkennend, Stärken des andern betonend. Helwig bemühte sich, die beim älteren Jahnn anklingende Resignation ins Allgemeine zu wenden: In jeder Generation werde das Andersleben neu versucht. „Tröstung gibts da keine. Sie leben uns und das von uns erkundete nicht weiter. Wollen, können es nicht. Darum erklären sie das unsrige als falsch. Sind deswegen nicht schlechter als wir, auch nicht besser.“ Ihnen werde es im Alter nicht anders ergehen. Falls nicht „die Welt ihr Ende durch das Mittel des Menschen suche“. Denn dies war bei beiden seit dem Abwurf von Atombomben auf zwei japanische Städte eine zentrale Sorge, wie die „nachgetragene Autobiographie“ von Helwig bestätigt. Ich habe sie mir sogleich beschafft.

Neutral sein in Kriegen?

Bereits beim ersten Kontakt nach dem Zweiten Weltkrieg war die fortwährende Bedrohung ein Thema. Auch das eigene Verhalten in der Nazizeit wurde angetippt. Jahnn war ja nach Bornholm ausgewichen; Helwig kam in der Schweiz und in Liechtenstein über die Runden, ohne widerständisch zu sein. „Wir hatten zu leben“, meldete er Jahnn im September 1945 aus Vaduz. „Ich lavierte zwischen meinem scheinhaften Opportunismus und wirklichen Abscheu, litt maßlos darunter und konnte doch die Dinge nicht anders meistern.“ Er habe seine „persönliche Neutralität etwa mit den gleichen Kompromissen“ gerettet, wie sie „die neutralen Staaten selbst einzugehen gezwungen waren“. Was könnte ein nachgeborener Schweizer dazu heute sagen? Jahnn bekannte Helwig mit Blick auf das eigene Bemühen, sich in jenen Jahren vorab selbst zu schützen: „Ich habe mir vorgespielt oder vorgelogen, dass ich jemand sei, und dass es darauf ankomme, diesen zu erhalten. Pfui Teufel! Mit dem Verlust meiner Persönlichkeit oder meines Karakters habe ich bezahlt.“ Helwig konnte von 1940 und 1944 für die Exil-Büchergilde in Zürich tätig sein und in der VPOD-Zeitung publizieren, mit Pseudonymen getarnt. Parallel dazu hielt er, um seinen Pass nicht zu verlieren, Vorträge bei Anlässen der nazitreuen deutschen Kolonie. Basis dieses Doppelspiels war ein offenbar wackeliger Deal mit Hans Oprecht, SP-Nationalrat und führend in der antifaschistischen Bewegung der Schweiz. Diesem gab er, der „kein gelernter Spion“ war, gelegentlich Interna über Nazi-Zellen in Zürich weiter. Aber seine Position war keineswegs immer klar. Er wirkte vor 1933 intensiv in einer Wandervogel-Gruppe mit und schied dort nicht aus, als die Hitlerjugend die Regie übernahm. Der bündischen Jugendbewegung war schließlich das Führer-Prinzip nicht fremd ...

Hesse & Hohl, Hamsun & Jahnn

Schwer, nun nicht vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen: Allein die „literarischen Vagabondagen“, die Helwig - natürlich - zu Hermann Hesse, an seinem späteren Wohnsitz in Genf aber auch zu Ludwig Hohl führten, füllen im Buch viele Kapitel. Das dazu von ihm gewählte Motto: „Wir suchen im Schriftsteller den Freund“. Bei einer der langen Wander-„Fahrten“ im hohen Norden war er 1923 bei Knut Hamsun zu Gast. 1928, eben zurück aus Lappland, stand er in Hamburg bei den Jahnns vor der Tür, „mit einem abgewetzten Lederrucksack und einem riesigen Rentiergeweih über der Schulter“. Er wurde von Ellinor, „die mich zuvor noch nie gesehen hatte“, mit herzlicher Selbstverständlichkeit empfangen. „Sie war seit einiger Zeit Hennys Frau, und zwar im bürgerlichsten Sinne des Wortes, nur sie selbst war nichts weniger als das. Ein ungemein offener Mensch, hilflos vor lauter Offenheit, liebte sie ihren Mann und hielt zu ihm selbst in den fürchterlichsten Situationen - in die er sie brachte.“ Soviel noch zum bereits oben behandelten Thema. Der jugendliche Tramp blieb längere Zeit dort; im Abgang nahm er Druckfahnen des „Perrudja“ mit. Bei seiner nächsten Tour waren diese „der Stein in meinem Tornister“, ja sein Haus, „drin will ich bald wohnen“, wie er Jahnn in gereimter Form wissen ließ. Dazwischen wohnte er vorübergehend „in meinem Mädchen“, bei Irma Tidemann in Bremen. Yvonne Germaine Diem hiess eine Freundin in Zürich, bevor sie 1940 seine Frau wurde. Was aber damals kein Weg war, ihm den Aufenthalt in der Schweiz zu sichern. Andersherum: Durch die Heirat hat sie ihre Staatsbürgerschaft verloren. Ein langer „Behördenkrieg“ begann.

Ein eher unfriedlicher Anfang ...

Eigentlich hätte ich vorn beginnen sollen: 1905 bei Berlin geboren. „Scheidungskind“. Ab nach Hamburg, dem „Tor zur Welt“, mit demonstrativem Abschied vom Vater. Und so fort. Das von Ursula Prause gut gefügte Puzzle, zu dem Knastnotizen wie Seeabenteuer gehören, dokumentiert ein ziemlich wildes, zuletzt durch Ehen etwas gefestigtes Menschenleben. Als frühes und wichtiges Element wäre die Erinnerung an den 9. November 1918 hervorzuheben, einen Revolutionstag in Berlin. „Meine Eltern waren durch den Krieg, seine Wirren, seine Folgen auseinandergekommen“; am erst später historischen Tag bricht der Dreizehnjährige aus. Um „die finstere Einsamkeit unserer Wohnung“ mit der helleren Nähe einer Cousine zu tauschen, muss er durch die Stadt. Dabei gerät er in eine immer mächtiger anschwellende Demonstration. „Nieder“ oder „Hoch“ stand auf Schildern, geschrieben „mit ungelenker Hand“, oben oder unten. „Was dazwischen stand, entging meiner Aufnahmefähigkeit.“ Zuweilen wurden diese Schilder von den Trägern mit anfeuernden Ausrufen in die Höhe gestoßen, als ob der Aufschrift damit mehr Wirkung verliehen werden könnte. Bei den Farben „gebieterisch“ viel Rot. Banner wurden geschwenkt. „Ich sah ältere Frauen rote Sonnenschirme tragen. Andere hatten von Balkonfahnen, die man gelegentlich der vielen, allzu vielen Siege rauszustecken pflegte, den schwarzen und den weißen Streifen abgeschnitten.“ Der klägliche Rest stand auf Halbmast. Inmitten der Masse holte den Jungen „die Verlassenheitswoge“ ein, die ihn aus dem Haus getrieben hatte. „Da um mich herum jede Eigenbewegung erstickte“, erstarb seine Neugier. Er floh in einen Hausgang, querte den Hinterhof. Nur weg hier, fort, „gegen den Strom der Passanten“, zur Tante und zu Annie. Dort dann, als in der Innenstadt bereits Schüsse über die Dächer peitschten, das erlösende Wort: „Da kannst du aber heute abend nicht wieder nach Hause.“ Er war im sicheren Hafen, noch viele Tage, in denen die Revolution „mit allen zugehörigen Anarchien“ in Gang war.

... aber kein verlorenes Leben

Ja, dies ist wirklich ein Lesebuch. Auf dem Umschlag ist von der „verlorenen Generation“ die Rede, zu der Helwig gehört habe. Sorgfältig, kritisch, doch mit spürbarer Sympathie hat die studierte Historikerin das Material für ein Porträt - teils aus dem Nachlass, teils aus publizierten Werken - zusammengestellt, kommentiert und mit Bildern versehen. Wie sie zu dieser Aufgabe kam, ist eine faszinierende Geschichte für sich. Sie steht im Vorwort, das [ auf dieser Webseite und ] auch auf der Website des Verlages zu finden ist.




Buchbesprechung von Erik Martin (Mac),

publiziert in KÖPFCHEN 1+2/2014 (Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck e.V.),
hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Verfassers

Das Leben eines Außenseiters

Ein beeindruckendes Werk über Werner Helwig

Endlich ist das Buch erschienen, auf das nicht nur viele Bündische schon lange gewartet haben, ein Werk über das bewegte und manchmal verzweifelte Leben des Schriftstellers und Nerothers Werner Helwig. Dieser hatte in seinen letzten Lebensjahren versucht, in einer „Erinnerungsmappe“ Texte für seine „Memoiren“ zu sammeln; Gerda Helwig, seine zweite Frau, begann nach seinem Tod mit der Arbeit an einer Biographie, und nach ihrem Tod führte ihre Schwester Ursula Prause das Werk fort, das den Untertitel „Eine nachgetragene Autobiographie“ erhielt.
        Das Buch ist das Ergebnis eines Jahrzehnts langwieriger und mühevoller Nachforschungen. Welche Probleme sich der Herausgeberin dabei stellten, erfährt der Leser im Vorwort des Buches. Die Herausgeberin hat in erster Linie Texte versammelt, die „spezielle Begebenheiten oder Begegnungen in Helwigs Leben zum Thema haben und die von Helwig als Einzeltexte konzipiert und veröffentlicht worden sind“, aber auch Texte, die hier zum ersten Mal veröffentlicht werden.
        Das Buch ist keine chronologisch fortlaufende Biographie, sondern eine Sammlung autobiographischer Texte, in denen die „Chronologie der Lebensgeschichte durch Helwigs Vor- und Rückschauen zum jeweiligen Zeitpunkt des Schreibens aufgebrochen wird“, wie Ursula Prause in ihrem Vorwort formuliert. Dies macht das 600-seitige Werk, das die lose gefassten Kapitel mit zahlreichen Bildern und Dokumenten ergänzt, zu einer spannenden Lektüre. Es ist keine kritisch wissenschaftliche Arbeit, sondern der Versuch, die Person Helwigs „in seiner Zeit, seiner Wirklichkeit und all seinen persönlichen Facetten sichtbar“ werden zu lassen.
        Die Texte sind in Kapiteln geordnet, welche die wichtigsten Stationen in Helwigs Leben darstellen. Sie haben jeweils einen Einleitungstext, der den Leser bei der Verortung hilft, und in den Randspalten befinden sich – sehr anschaulich dargestellt – unter anderem kontrastierende Texte, Worterklärungen, Fotos sowie Angaben zu Quellen und zur Biographie.
        In dem 50-seitigen Anfangskapitel erfährt der Leser von Helwigs düsterer Berliner Kindheit und Jugend, verursacht durch die Scheidung seiner Eltern und die Kriegs- und Nachkriegswirren, und der Begegnung mit einem Wandervogelführer, wodurch Helwig zur Jugendbewegung kam.
        Seine zweite Heimat wurde dann Hamburg, wo er sich, mittel- und wohnungslos, im Milieu verkrachter Existenzen durchschlug, aber auch Menschen traf, die ihm weiterhalfen, zum Beispiel den Verleger und Schriftsteller Walter Hösterey, genannt Walter Hammer.
        Von hier aus begann Helwig, meist allein, als Wanderbursche und Tramp seine „Welterkundung“, die ihn unter anderem nach Norwegen führte, und entwickelte eine besondere Form von Fahrt: die „literarische Vagabondage“. Unangemeldet besuchte er Dichter und Schriftsteller, die er besonders schätzte. Als lesenswertes literarisches Kabinettstück kann man seine Schilderung des Besuchs bei Knut Hamsun lesen, den er sein Leben lang besonders schätzte; sie zeigt seine damalige Unbekümmertheit und Neugier und zeichnet gleichzeitig ein eindrucksvolles Bild vom Menschen Hamsun. (Ob das Geschehen wirklich mit den erzählten Einzelheiten so stattgefunden hat? Wenn nicht, ist es doch gelungen dargestellt. Helwig hat gerne etwas an seinem Mythos gewebt.)
        1927 gelangte Helwig zur Waldeck, sie wurde sein Zuhause. Wie es dazu kam, wie er in einer alten Hütte lebte, warum er die „Burg hütete“, wenn die Anderen ihre großen Auslandsfahrten machten, weshalb er den „Burgorden“ gründete – das und mehr (zum Beispiel über seine Lieder) erfährt der Leser aus seinen Selbstdarstellungen.
        Er wurde der „Burgpoet“, blieb über Jahre, machte immer wieder Unternehmungen und kehrte zurück, arbeitete am „Herold“, der Bundeszeitschrift des Nerother Wandervogel mit („Die Herolde Nr. 8, 9, 10 und 11/12 tragen das Signet meiner Rebellion“) und führte eine vielfältige Korrespondenz.
        Abgedruckt ist unter anderem ein intensiver Briefwechsel mit seinem Vater, dem er u.a. von seiner Waldeck-Zeit berichtet. Diese bislang unbekannten Briefe aus dem Nachlass von Brecht Stempel lassen Helwigs Beziehung zu seinem Vater in neuem Licht erscheinen.

Dunkle Phasen

Die dunklen Abschnitte in Helwigs Leben werden nicht ausgespart. Im Kapitel „Knabenethos – Eros – Knast“ erfährt man von dem Vorfall, der sich während einer Fahrt im Sommer 1931 ereignete und dazu führte, dass Helwig zu einem halben Jahr Gefängnis wegen „Unzucht mit Knaben“ verurteilt wurde. Im Gefängnis schrieb er ein „Knast-Tagebuch“, das sehr private Aussagen enthält und in denen sich u.a. protokollarisch abzeichnet, wie er in den Wochen seiner U-Haft zunehmend aus dem seelischen Gleichgewicht geriet. Die Biografie enthält hierzu weitere Einzelheiten.
        Helwig führte von seiner Hamburger Zeit an eine lebenslange, komplizierte Freundschaft mit dem Schriftsteller und Orgelbauer Hans Henny Jahnn. Später veröffentlichte er eine Jahnn-Biografie unter dem Titel „Die Parabel vom gestörten Kristall“. In der Helwig-Biographie publiziert Ursula Prause ein im Buch fehlendes Kapital, „nur für ein Paar Freunde“ vorgesehen, in dem er u.a. erläutert, wie Jahnns Knabenvorstellungen in dessen Werk ihn in jenen Jahren beeinflusst hatten.
        Vermutlich wird mancher Leser, der etwa nur Helwigs Bücher „Raufischer in Hellas“ und „Auf der Knabenfährte“ kennt, von den Schriften aus seiner HJ-Zeit geschockt sein. Im Juni 1933 schloss sich die Wiesbadener Gruppe der Nerother, in der sich Helwig eine Zeit lang intensiv beteiligte, als Spielschar der Hitlerjugend an, um eigenständig zu bleiben, auch mit der naiven Idee, die Hitlerjugend bündisch zu unterwandern. Ab November wurde Helwig für ein halbes Jahr im Oberbann I Frankfurt als „Kultursachberater“ tätig und verfasste und inszenierte in dieser Zeit Chorspiele für die HJ, u.a. „Das Reich muss uns doch kommen“ und „Der Große Krieg“ sowie einige Kampflieder, darunter die „Hymne an den Führer“. Ursula Prause schreibt: „Wenn Helwig seine aktive Verstrickung mit den Nazis als eine subversive Absicht rechtfertigt, dann verleugnet er die geistige und ideologische Nähe der eigenen antimodernen Weltanschauung zur Ideologie des Nationalsozialismus. Diesen Widerspruch wird Helwig in der Auseinandersetzung mit seiner persönlichen Geschichte im Dritten Reich bis ans Ende seines Lebens nicht lösen können.“

Die Frauen

Kapitel über Helwigs Norden und über seine Zeiten auf Sizilien und Capri, wo er zeitweise bohèmemäßig lebte, sowie in Griechenland, wo er mit Alfons Hochhauser zusammen war und, beeindruckt von der geschichtsträchtigen Landschaft, von Hochhausers Erzählungen und den gemeinsamen Erlebnissen das erste Konzept zu seinem erfolgreichsten Roman „Raubfischer in Hellas“ entwarf, sind höchst aufschlussreich; es kann im Rahmen einer Buchvorstellung aber nicht auf alles genauer eingegangen werden.
        Wenig bekannt ist, dass Helwig auf Capri seine große Liebe fand. 1937 verlobte er sich mit der aus Belgien stammenden Malerin und Graphikerin Berthe Warnant – er nannte sie „Bettina“ –, die aber später einen englischen Verleger heiratete. Sie kam 1940 in Paris für dreieinhalb Monate ins Gefängnis, weil man bei ihr Briefe eines Deutschen in Geheimschrift gefunden hatte – es waren Briefe von Helwig in der Geheimschrift seiner Hamburger Nerothergruppe Bakschaft Störtebeker. Welcher Zusammenhang aber zwischen seinem „Bettina“-Rivalen und seinem Buch „Isländisches Kajütenbuch“ besteht, ist, um einmal ein Beispiel zu nennen, eines der interessanten und erstaunlichen Ergebnisse der Recherchen Ursula Prauses zu dieser Biographie.
        Helwigs Lebensweg säumten viele Mädchen und Frauen. In seinem kaum bekannten, 1958 erschienenen Büchlein „Auf der Mädchenfährte“ gedachte er später lyrisch all seiner „Lieben“. Feste Bindungen standen seinem unbändigen Freiheitsdrang entgegen, weshalb er sogar bei seiner großen Liebe Bettina auf einem Jahr Bedenkzeit bestand, was die geplante Heirat zunichte machte.
        Yvonne Diem dagegen, die Schweizerin, die sehr bald ein Kind von ihm erwartete, heiratete er unverzüglich und blieb 38 Ehejahre lang mit ihr zusammen. Wie konfliktreich jedoch diese Beziehung war – anders als die Darstellungen in „Capri. Magische Insel“ und „Totenklage“ vermuten lassen – kommt in dem Buch ebenso zur Sprache wie Helwigs zuweilen verzweifeltes Ringen, trotz Bindung an Frau und Familie auch noch seine ureigenen Wünsche und Träume leben zu können: „Wie bringe ich (…) zusammen: Weib und Kind, Gegenwart (als unaufhörlich dräuendes Gewitter) und mein Verlangen?“

Lebensschwierigkeiten

Helwig war immer ein Außenseiter, in der Bündischen Jugend ebenso wie im Literaturbetrieb. Es ist ein Verdienst der Herausgeberin, sein Leben zwar wohlwollend, aber auch mit wissenschaftlicher Objektivität verfolgt zu haben. Den meisten unbekannt sind zum Beispiel die großen Probleme, die er mit den Behörden hatte, sein Kampf um die Rückkehrerlaubnis aus dem Liechtensteiner Exil in die Schweiz, wo er bis 1951 „unerwünscht“ war.
        Er litt unter seinen familiären Problemen. Sein ältester Sohn konnte aufgrund seiner Behinderung nicht zu Hause gepflegt werden und verbrachte sein späteres Leben im Heim, die Beziehung zu seinem zweiten Kind, dem „Sorgensohn“, endete „in einem irreparablen Zerwürfnis“.
        Seltsam kommen dem Leser zum Beispiel die Bedingungen der Erklärung vor, die der Vater seinem 23-jährigen Sohn unterschreiben ließ, damit er auf den Reisen seiner Eltern mitfahren durfte. Das war in den 1960er Jahren, als Helwig nahezu exzessiv die Welt bereiste, vor allem weil er seine Wohnsituation in Genf als unerträglich empfand. Da ihm nach dem Erscheinen von „Das Steppenverhör“ keine Romane mehr gelangen, hielt er sich mit dem Schreiben von Reiseberichten, Kritiken und Essays über Wasser.
        Hatte Helwig sich in frühen Jahren als „Globetrotter und Naturbursche par excellence“ betrachtet und sich ideologisch/politisch nach rechts wie links offen gezeigt (man denke nur an seine Brecht-Vertonungen), so änderte sich mit seinem Leben in Genf besonders seine Haltung zur Politik. Der Ost-West-Konflikt und die Spaltung der Welt in zwei ideologisch unversöhnliche politische Machtblöcke beunruhigten ihn ungewöhnlich, seine Sicht wurde konservativer, er wurde ein Gegner der Revolten der Neuen Linken in den westlichen Ländern sowie der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt und seine Beziehung zur ABW kühlte sich ab, als auf den Waldeck-Festivals Liedermacher aus der „linken Szene“ auftraten. Er war der Meinung, dass sich die Menschheit durch Selbstzerstörung zugrunde richte, und verfasste tief pessimistische Briefe (u.a. auch an den Verfasser dieser Zeilen) und dachte zeitweise daran, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Fazit

Können jüngere Generationen mit der oftmals wortmächtigen und mit mythologischen Bildern versehenen Sprache der Helwig-Romane heute nur noch wenig anfangen, so werden nicht nur sie, sondern erst recht „Köpfchen“-Leser diese Biographie mit ihren beeindruckend lesbaren, manchmal sehr spannenden Kapiteln – jedes ein kunstvoll geratenes Kaleidoskop aus bio- und autobiographischen Texten, Briefen, Dokumenten und Fotos – mit Interesse durchstöbern und sich mit Sicherheit schnell festlesen. Ursula Prause, die Herausgeberin, hat fundiert und akribisch gearbeitet, das sieht man auch ihren zahllosen und zum Teil ausführlichen Anmerkungen an, die das weitergehende Interesse des Lesers mit geradezu erstaunlichen Entdeckungen, auf die hier aus Platzmangel nicht eingegangen werden kann, belohnen.
        Die Herausgabe dieses illustrierten Werkes wurde u.a. von der Peter-Rohland-Stiftung finanziell unterstützt.






Auszüge aus Schreiben an die Herausgeberin


Vielen Dank für das wunderschöne Buch, das so reichhaltig durch das viele Bildmaterial geworden ist. Hatte ganz vergessen, dass wir auch mit (darin) sind. [...] Jetzt gibt es viel, was ich der Topsy vorlesen muss!
Hai und Topsy Frankl


Wir haben uns schon ganz gut festgelesen in Deinem Buch, es „zieht den Leser rein"! Du hast nicht nur ein Werk geschaffen, das Werner Helwig lebendig macht, sondern Du hast eine literarische Form gefunden, wie sie uns bisher nicht begegnet ist.
Gisela Möller-Pantleon und Klaus Peter Möller (molo)


Zunächst möchte ich meine Bewunderung ausdrücken für die Sisyphosarbeit, die Sie mit dem Helwigbuch geleistet haben, mit der Sie ein Charakterbild von Helwig erstellt haben, dass man sein Leben wie ein Gemälde vor sich sieht.
Zuerst las ich das Buch wie einen Kriminalroman, beim zweiten Mal verzauberte mich wieder einmal seine Sprache, von der ja Hermann Hesse sagte: „Von Helwig an wird man von einer neuen Sprache sprechen“. Dann kommt die Vielseitigkeit seiner Begabungen zum Ausdruck, seine Musik, seine Lieder, seine Malerei und natürlich sein Schreiben. Dazu sein Humor! Zum Loslachen seine Wohnungsbeschreibung, seine Nichtraucherversuche etc.
Aber auch seine Zerrissenheit, seine ewige Suche nach dem Sinn des Daseins. Auch die Schwierigkeiten mit den Kindern, die ich durch den Sohn Wolfgang, den ich 3 Jahre auf der Waldeck betreut habe, selbst miterlebte. [...]
Für mich war seine Biografie eine Reise in die Waldeckzeit, in der Helwig unvergessen in der Erinnerung lebt.
Gisela Mohri


Es ist ein veritables Meisterwerk – sorgfältig recherchiert, ausgezeichnet formuliert und bei allem wissenschaftlichen Anspruch durchaus lesbar. Allein das Volumen lässt erkennen, wie viel Zeit und Mühe Sie in dieses Werk investiert haben. Ich habe es bereits in meinem bündischen Freundeskreis empfohlen und nur positive Rückmeldungen erhalten.
Dr. Manfred Nimax


Ich lese, [...] stoße auf Bekanntes, mehr noch auf Neues zu Person und Werk. Die Gesamtkomposition finde ich wohl gelungen, besonders auch die typographische Gestaltung ansprechend, einspaltig, mehrspaltig, Marginalien und Erläuterungen im Kleindruck in seitlichen Rubriken, einführende Passagen mit Raster unterlegt, durchgängig Fotos und Bilddokumente in unterschiedlichen Formaten, nur die Anmerkungen am Ende teilweise etwas mühevoll zu finden.
Prof. Dr. Walter Sauer (wasa)


Mein erster Eindruck: Ein prächtiges Buch! Die Gliederung ist klar und sinnvoll, der Leseeinstieg ist überall möglich. Im Vorwort wird in berührender Weise der persönliche Bezug der Herausgeberin und Autorin angesprochen. Welch eine ungeheure Arbeit, das fast unüberschaubare Material zu sichten, zu ordnen, zu kommentieren und interpretieren, umfangreiche Recherchen bei Zeitzeugen und in Archiven durchzuführen. Bei aller Nähe zum Protagonisten ist die Herausgeberin stets auf Objektivität bedacht. Die dunklen Seiten von Helwig werden nicht unterschlagen oder verharmlost, vielmehr in schonungsloser Weise, auch manchmal gegen dessen verschleiernde oder rechtfertigende Intention aufgedeckt. Eine Arbeitsweise, die der Herausgeberin sicherlich ein hohes Maß an persönlicher Belastung abverlangt hat.
Dieter Harsch


Für einen Bücherfreund und Hobby-Buchbinder zählt schon der erste Eindruck beim Auspacken und In-die-Hand–nehmen. Da gibt das Gewicht von 1.600 g bereits einen ersten Hinweis auf die hohe Papierqualität und damit verbunden eine sorgfältige Buchherstellung für einen kostbaren Inhalt. [...] Mein Bild von Werner Helwig wächst von Seite zu Seite. Nicht nur der Schriftsteller mit seiner bemerkenswerten Sprache fasziniert, auch seine Lebensumstände wecken Neugierde und Anteilnahme. Eigenes Unwissen tritt zu Tage, das zum Nachforschen auffordert. Ich hatte bisher wenig Ahnung von der Geschichte der Jugendbewegung und des Wandervogels, obwohl das indirekt auch die Generation meiner Eltern betraf, was wiederum ja auch mich geprägt hat. [...] Jetzt muss ich aber zuerst mal im Helwig-Buch weiterlesen. Da gibt es sicher noch einige gemeinsame Knotenpunkte zu entdecken. [...]
Robert Meister


Nach dem ersten Lesen möchte ich zu dieser schönen und anspruchsvoll gestalteten Arbeit gratulieren. Man merkt jeder Seite die akribische Recherche und die sorgfältige Auswahl an. Kommende Generationen werden sicherlich bei jeder Beschäftigung mit Werner Helwig aus Ihrem Buch „Honig saugen können", ferner wird die Erinnerung an ihn durch die zahlreichen weiterführenden Literaturangaben und Nachlassverweise wachgehalten. Layout und Buchgestaltung laden zu einer intensiven Lektüre ein, mit dem Verlag scheinen Sie einen Glücksgriff gelandet zu haben.
Dr. Torsten Mergen


Das ist ein sehr informatives und gut ausgestattetes Buch, es wird wohl das Standardwerk zu Werner Helwig werden. Ich habe es erst angelesen und weiß, dafür muss ich mir Zeit nehmen in diesem Sommer. In den Rilke-Blättern werden wir auf jeden Fall einen Artikel bringen. [...] wir werden das Buch nicht übergehen. Sie haben sich damit viel Arbeit gemacht und den interessierten Lesern eine ganze (ausführlich kommentierte) Welt eröffnet!
Prof. Dr. Erich Unglaub


(Sie haben) da etwas sehr Verdienstvolles und Sachlich-Solides und angesichts der schwierigen Entstehungsumstände etwas Bewundernswertes hinbekommen [...], für das Ihnen alle Helwig-Leser, also auch ich, zu Dank verpflichtet sind. Es steht ja, auch des Formats und des Satzspiegels wegen, ungeheuer viel drin in dem schweren und sehr schön bilderreichen Buch. Und dass Sie Gerdas [Gerda = Helwig 2. Frau] Bemühungen auf diese Weise zu einem guten Ende bringen konnten, freut mich sehr und wird auch Ihnen eine schwesterliche Genugtuung sein.
Dr. Frank Max


Fast sechshundert Seiten Werner Helwig! Ich vermute, Sie haben weit mehr aufgespürt, gesichtet, darauf abgewogen, was in den Band eingehen kann/soll, ohne den zu überfrachten, ohne den Verleger zu überanstrengen, auch was also beiseite zu setzen sei, ohne das Bild Werner Helwigs aus dem Gleichgewicht zu bringen. [...] Geworden ist das ein Geschichtsbuch verschiedener und dann doch des einen Werner Helwig [...]. Werner, so verstehe ich ihn auch hier wieder, hat sich immer eine Position am Rande bewahrt. So verstehe ich etwa auch – hier bin ich persönlich berührt – wie er sich darum drückte, das Bundesverdienstkreuz entgegen zu nehmen, wobei ich das eher als Akt der Verlegenheit denn als Ablehnung ansehe und angesehen habe. Was weiß, wusste ich von diesem Werner Helwig? [...] Begegnet sind wir uns nie. [...] Briefe wechseln, Telefonieren, zudem die Lektüre wohl von fast allem, was er in Buchform veröffentlicht hat, nicht zuletzt die Briefe anderer, die ihm begegnet waren oder sich auf seine Spuren im Pelion gemacht hatten, das zusammen ergibt mein Bild von Werner, ergibt die Sicht, aus der heraus ich den Band gelesen – weniger entdeckend als Ergänzung oder Erklärung findend. Haben Sie Dank.
Egbert-Hans Müller/Reinhard Gröper


Viele Erinnerungen tauchen beim Lesen Ihres Buches wieder auf. [...] Mir ist dabei wieder klar geworden, wie sehr lieb und nah mir in einem tieferen Grunde Werner Helwig immer war, ebenso mit seinen für unsere bürgerliche Welt schwer akzeptablen Problemen [...] So ist mir Ihr Buch eine ganz wunderbare und überaus liebe Gabe, im Augenblick das liebste Buch in meiner Bibliothek!
Prof. Dr. Dieter Heim


Die „nachgetragene Autobiographie" ist sehr eindrucksvoll [...]. Vieles, was Sie sehr ansprechend dokumentiert haben, ist auch mir neu – etwa das Verhältnis zu Fuhrmann oder der kleine Manga-Bell in Helwigs Gruppe [...] In den USA haben wir mit den Studenten gelegentlich über dessen Mutter gesprochen, die später ja die Gefährtin Joseph Roths gewesen ist [...]. Merkwürdige, unerwartete Verbindungen.
Dr. Jan Bürger


Wollte [...] Dir zur großartigen Biographie gratulieren. Da habe ich mich gerne eingelesen und war auch sofort wieder in diesem Gefühl zu Hause, das ich immer mochte. Es ist offensichtlich, wie viel Arbeit Du Dir gemacht hast und wie diese Arbeit Früchte trägt. Die Genauigkeit tut gut – vor allem auch, weil mit Helwig viel einhergeht, das Stimmungen zu entspringen scheint, Ahnungen auch, vielleicht, weil er nicht immer alles ausgeschrieben sondern sich im Mythos umgesehen hat. Einem Mythos, von dem er sagte, dass er viel komplexer sei, als er zu erkennen gestattet. Deshalb ist es hilfreich und schön, ein derart fundiertes Werk zur Hand zu haben, das uns auf die im Schnee verwehenden Spuren des Meisters aufmerksam macht. Vielen Dank dafür.
Jean Willi








Foto: Cover der griechischen Raubfischerausgabe



Werner Helwig,
Raubfischer in Hellas




Titelblatt der griechischen Ausgabe des Romans
           Raubfischer in Hellas
           von Werner Helwig

in der Übersetzung von Irini Kyrannos,
erschienen August 2013 bei iWrite.gr. publications
ISBN 978-618-5067-


Im Vorwort zur griechischen Ausgabe schreibt Dieter Harsch:

Im Nordosten des Piliongebirges, zwischen den Dörfern Pouri im Süden und Veneton im Norden, beobachten Hirten, Köhler, Jäger und Fischer seit den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts immer wieder ausländische Wanderer, die in dieser gottverlassenen Gegend umherstreifen. Oft sind es Gruppen, nicht selten einzelne Personen, Jugendliche, aber auch betagte Männer. Manchmal ist sogar eine Frau dabei. Und fast immer handelt es sich um Deutsche. Fragt man sie, was sie ausgerechnet in diese einsame Gegend führt, die in keinem Reiseführer erwähnt wird, so ziehen sie möglicherweise ein kleines Buch aus der Tasche: Helwigs Raubfischer. Dieses Buch hat sie hierher gezogen. Sie wollen den Spuren des Romans folgen und die Orte der Handlung aufsuchen.

„Raubfischer in Hellas“ von Werner Helwig erschien in Deutschland schon 1939. Es gab Übersetzungen ins Niederländische, Italienische und Französische. Der Roman wurde in vielen verschiedenen Ausgaben, zuletzt 1992, immer wieder neu aufgelegt und erreichte hohe Auflagen. Der Protagonist des Romans, Clemens oder Xenophon, ist der legendäre Alfons Hochhauser (1906 – 1981). Er lebte von 1926 bis 1938 als Schweinehirt, Gastwirt und Fischer im Pilion und auf den Nördlichen Sporaden. Ende der Zwanzigerjahre betrieb er in Koulouri bei Veneton eine einfache Taverne, in der hauptsächlich Dynamitfischer verkehrten. Sie bezahlten ihre Zeche mit Fischen, die Hochhauser in Volos und in den Peliondörfern verkaufte. Während des Krieges war er 1942 zunächst mit dem Tauchpionier Hans Hass als Ortskundiger und Fischereiexperte auf einer Expedition in der Ägäis unterwegs. Anschließend diente er in Griechenland bis Kriegsende als Dolmetscher bei der Wehrmacht. Vorwürfe, er habe für Deutschland spioniert und dem griechischen Widerstand dadurch geschadet, konnten nie bewiesen werden. Dass er durch geschickte Übersetzungstätigkeit immer wieder Griechen vor harten Strafen oder gar vor dem Tod gerettet hat, haben viele Zeitzeugen bestätigt. 1957 kehrte er nach Griechenland zurück. Als Pionier eines sanften Tourismus führte er zusammen mit seiner griechischen Frau Chariklia bis 1969 in einem verlassenen Kloster auf der Insel Trikeri eine alternative Pension. Nachdem dort der Pachtzins für ihn zu teuer wurde, beherbergte er seine Sommergäste bis 1980 wieder in Koulouri in einfachen Hütten. Im Januar 1981 suchte und fand er den Tod durch Erfrieren auf einem einsamen Bergrücken im Piliongebirge. Kostas Akrivos, der Schriftsteller aus Volos, hat ihm mit seinem Roman „Pios thymatai ton Alfons“, der 2010 erschien und 2012 auch ins Deutsche übersetzt wurde, ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.

Der Schriftsteller Werner Helwig (1905-1985) hat Hochhauser zwischen 1935 und 1938 dreimal für längere Zeit besucht. Auf langen gemeinsamen Bootsfahrten und Wanderungen erzählte Hochhauser ihm von seinen Abenteuern und gab ihm bei seiner Abreise schriftliche Aufzeichnungen darüber mit. Zusammen mit seinen eigenen Erlebnissen bildeten sie die Grundlage für „Raubfischer in Hellas“ und auch für seine weiteren Griechenlandromane 1). Wie intensiv Helwig diese Bootsfahrten und das Umherstreifen in der Pilionlandschaft in sich aufgenommen hat, ist beim Lesen des Romans durchweg zu spüren. Man fühlt sich angesteckt und aufgefordert, den Pelion Helwigs und Hochhausers selbst zu erkunden: Die Katzenbuckelbrücke über den Geisterfluss, die geheimnisvolle Ruinenstadt Palia Mitzela, Aspro Wrachos, den Ovrios-Strand, die vielen versteckten Kapellen, die Limnionabucht mit dem Schlangenbrunnen, das Kloster Flamouri, die mythenumrankten Meereshöhlen sowie die Reste der Raubfischerkneipe in Koulouri und natürlich die schönen Peliondörfer Zagora, Horefto, Pouri, und Veneto. All das kann auch heute noch erwandert oder mit dem Boot erreicht werden. Der Roman wird auf diese Weise wieder zum sinnlichen Erlebnis.

74 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Romans liegt nun endlich auch eine griechische Ausgabe vor. Werner Helwig hätte sich darüber sicher sehr gefreut. Großes Lob und Dank gebührt Irini Kyrranos für ihren Mut und die Mühe, den sprachlich sehr schwierigen Text ins Griechische zu übertragen.

Etwa zeitgleich mit dem Erscheinen dieses Buches wird in Horefto/Zagora ein ökologisch-kulturelles Projekt entstehen. Der Freundeskreis Alfons Hochhauser, in dem sich Griechen und Deutsche zusammengefunden haben, möchte mit einem kleinen Museum, das an den österreichischen Griechen erinnern soll, aktiv werden. Kulturelle Angebote und Initiativen zum Naturschutz im Nordosten des Pilion sind gleichfalls geplant. Der Freundeskreis wird auch geführte Wanderungen und Bootsausflüge zu den Handlungsorten des Romans organisieren.

Weiteres unter  www.alfons-hochhauser.de

1) Von Helwig sind in Deutschland vier weitere Griechenlandromane erschienen: „Im Dickicht des Pelion“ 1941, „Gegenwind“ 1945, „Die Widergänger“ 1952 und „Reise ohne Heimkehr“ 1953.